Keine große Aufschrift oder gar Beleuchtung mit Firmenschriftzug weist auf die Lederhandlung Kirchhöfer GmbH hin. Das etwas zurückliegende Firmengebäude an der Ecke der Goethestraße wirkt eher grau und unscheinbar. Doch hinter den Mauern verbirgt sich ein kleines Lederimperium, mit wahren Schätzen für Kenner. Es ist das Reich des dreiundsiebzigjährigen Norbert Kirchhöfer. Er ist Lederhändler aus Leidenschaft. 

Seine Firma vertreibt vor allem die außergewöhnlichen Leder der belgischen Gerberei Masur, die seit ihrer Entstehung im Jahre 1873 rein pflanzlich gerbt. Dieses vegetabil gegerbte Leder mit seinem unnachahmlichen Griff und Charakter fasziniert Norbert Kirchhöfer bis heute. Seine Firmen-Philosophie lautet wohl auch daher „Leder zum Anfassen“. Davon gibt es in der Goethestraße wirklich jede Menge. Schon direkt hinterm Eingang stapeln sich die verschiedensten Leder und Felle in Pappkisten oder Regalen vom Boden bis zur Decke, dazwischen Schreibtische, alte Werkbänke, Spalt- und Schneide-Maschinen. Hier werden auch die feinen Ledereinlegsohlen geschnitten. Ein angenehmer Naturledergeruch liegt in der Luft und auf wundersame Weise scheint hier irgendwie die Zeit stillzustehen. Über eine schmale, knarrende Holztreppe geht es in den zweiten Stock. Überall liegen oder stehen Sammler-, Muster- und Erinnerungstücke. An der Wand hängen aufgereiht bereits geschnittene Gürtelleder. Rollen mit Lederriemen, Taschengriffen, Gürtelschnallen und sonstigen Accessoires liegen in den Regalen. Und auch hier oben im zweien Stockwerk quillen die Regale über von Ledern in unterschiedlichsten Farben. Zu jedem dieser Stücke oder Leder weiß Norbert Kirchhöfer etwas zu erzählen. Und wenn er das tut, dann leuchten seine Augen. Im hinteren Teil des Raumes stehen aufgereiht mehrere Industrie-Nähmaschinen, bei Bedarf wird hier auch genäht. Auf dem großen Tisch vorne steht gerade eine Serie großer Shopper-Taschen. Ringsum hängen weitere Musterstücke. Mit dem Chef selbst arbeiten normalerweise neun Leute hier in der Goethestraße, darunter auch seine Tochter. Doch momentan sind Betriebsferien. Die Firma ist jedoch das zweite Zuhause des bodenständigen Selfmademans, das Büro sein zweites Wohnzimmer und so ist er auch während der Ferien jeden Tag hier, nutzt die ruhige Zeit ohne ständigen Kundenverkehr und Telefonklingeln zum Aufräumen, sortieren und nun auch zum Erzählen. Norbert Kirchhöfer wirkt zufrieden und gelassen. In Jeans und Karohemd sitzt er lächelnd an seinem Schreibtisch, auf dem kein Zentimeter Platz mehr frei zu sein scheint. Hinter ihm sind Regale voll mit Geschenken von Kunden. Unzählige Ledermuster, Miniaturschuhe und Schlüsselanhänger finden sich dort. Das Smartphone klingelt ab und an, in der Ecke steht ein PC, daneben ein riesiger Stapel Lieferscheine. „Den nutzen wir nur zum Rechnungen schreiben“ sagt er lachend. „Internet brauchen wir hier nicht, die meisten Kunden kommen eh direkt hier ins Geschäft“. Norbert Kirchhöfer ist nicht nur Geschäftsmann, er ist auch ein Gutmensch. Wer den großen, ruhigen und freundlichen Mann hier einmal kennengelernt hat, der kommt wieder. Nicht nur wegen dem umfassenden Ledersortiment. Norbert Kirchhöfer holt einen großen Leitzordner aus dem Regal und beginnt zu blättern. Er lächelt wieder, als ob er ein altes Familienalbum betrachtet. Der Ordner ist randvoll mit Bildern, Zeitungsartikeln und Dankschreiben von Designstudenten und Schuhfachschülern. Sie alle bekommen Leder für ihre Werke von hier, natürlich zu Sonderpreisen. Sie alle unterstützt er, auch mit seinen Lederkenntnissen. Sie alle hat er irgendwie begleitet. Er zeigt den Artikel einer Studentin, die es mit ihrer Kreation sogar in die italienische Vogue geschafft hat. „Mit unserem Leder“ sagt er stolz. „Unser Hauptgeschäft ist jedoch nach wie vor Brandsohlenleder. Da laufen die Lieferungen direkt von der Gerberei aus. Darüber hinaus verkaufen wir hier Leder für Auto- Motorrad, Reitsport, Bekleidung, Schuhe, Reparatur, Orthopädie und auch für Theater, Larp und Mittelalterbedarf. Unsere Kunden sind ebenso internationale Luxus-Modelabels wie Privatleute oder Kleinunternehmen. Wegen dem besonderen vegetabil gegerbten belgischen Masure-Leder kommt beispielsweise auch ein saarländischer Produzent für hochwertige Leder-Timer und Notizbücher seit Jahren nach Pirmasens. „Dieses Leder ist einfach speziell, es ist natürlicher und besitzt Eigenheiten, wie Unebenheiten oder Riefen und es kann auch mal unregelmäßig gefärbt sein, mit fortschreitender Nutzung wird es weicher, noch charakteristischer und schöner“, schwärmt Norbert Kirchhöfer und seine Augen leuchten wieder. Sein Fachwissen ist beeindruckend, seine Begeisterung ansteckend. Er liebt was er tut und deshalb denkt er auch nicht ans Aufhören. Die Firma ist sein Leben und die Kunden fühlen hier sich nicht selten als Teil der Familie. Zurecht.
Norbert Kirchhöfer ging beim Pirmasenser Lederhändler Hupfauf in die Lehre, absolvierte Praktika und Volontariate in verschiedenen Unternehmen und vertrieb damals schon als Kaufmann im Lederhandel vor allem die vegetabil gegerbten Leder der belgischen Gerberei Masur. 1970 machte er sich selbständig. Einige Jahre später kaufte er das Firmengebäude in der Goethestrasse. Später kam noch weitere Lagerfläche dahinter hinzu. Das Geschäft ist mit der Kombination von Handel und Produktion bis heute einzigartig und anpassungsfähig geblieben.

Der Chef erklärt:
Vegetabil, das heißt pflanzlich gegerbtes Leder findet seine Verwendung vorwiegend in der Sohlen- Taschen- und Gürtelherstellung. Prinzipiell ist es robust und fest und wird für feinere Artikel bei Bedarf dünner gespalten. Die Formung des Leders im feuchten Zustand, wie zum Beispiel für einen Sattel ist nur mit solchen Leder möglich. Der Gerbprozess bei Masure in Belgien dauert drei Monate.

Text/Fotos: Margret Germann